Grußwort von Dieter Offenhäußler,

Pressesprecher der Deutschen UNESCO-Kommission,
anläßlich der Auftaktveranstaltung NRW von Mural Global
Duisburg, 11.5.2000



Sehr geehrte Damen und Herren,

im Juni 1999 hat die UNESCO die Schirmherrschaft über das „Weltweite Wandmalprojekt MURAL-GLOBAL zur Agenda 21“ übernommen, das der Verein Farbfieber e.V. initiiert hat. Die UNESCO unterstützt mit dieser Schirmherrschaft ein Projekt, das sich besonders durch zwei Aspekte auszeichnet.

MURAL-GLOBAL ist ein weltweites Projekt, in dem Künstler aus verschiedenen Ländern und Kontinenten zusammenarbeiten. Mural-global zeigt kulturelle Vielfalt unserer Einen Welt. Mural-global weckt die Neugierde. Und Neugierde ist der Kern und die Voraussetzung für Toleranz. Aktive Toleranz gegenüber Fremdem und Unbekanntem ist wiederum Voraussetzung für friedfertiges Zusammenleben auf diesem einen Planeten. Mural-global ist daher – wie die UNESCO – ein völkerverbindendes und friedenstiftendes Projekt.

Zum anderen bringt dieses Wandmalprojekt Kunst unübersehbar in den Alltag der Menschen. Für die UNESCO ist Kunst kein Randphänomen. Kunst betrifft den Menschen – wie Kultur überhaupt – im Zentrum seines Selbstverständnisses und seiner Lebensgestaltung.

Beide Aspekte – der globale völkerverbindende Aspekt und der Bezug zum lokalen Alltagsleben – sind Leitideen der UNESCO.

Das nächste Jahr – 2001 – ist das „UNO-Jahr des Dialogs zwischen den Kulturen“. Im Englischen „Dialogue among Civilizations“. Im Deutschen: Kultur, im Englischen: Civilization. Der Begriff Kultur hat im Deutschen seine eigene Geschichte – und ist nicht unschuldig. Im 19. Jahrhundert polemisierten die Deutschen gegen die Franzosen, letztere hätten zwar Zivilisation, aber keine Kultur. Die Folgen solch elitär-nationalistischen Denkens sind bekannt. Heute bringt die viel beschworene Globalisierung Völker und Kulturen nicht nur näher, sie weckt auch Ängste – Ängste vor dem Verlust kultureller Vielfalt und regionaler oder nationaler „Identität“. Als Reaktion auf solche Ängste kann auch Kultur ausgrenzend oder protektionistisch mißbraucht werden (nicht nur im sozialen, sondern auch im regionalen oder nationalen Sinn). Die alleinige Rückbesinnung auf eine „nationale“ Kultur aber – das lehrt nicht nur der Balkan – reicht jedenfalls heute nicht mehr für eine globale Zivilisation, die diesen Namen verdient.

Protektionistisch – wenn auch weit harmloser – kann Kunst auch dort sein, wo sie nur noch als Kümmerform in Reservaten überlebt – in Museen oder als Folklore, als domestizierte, bedeutungsleere, verwelkte Hülsen (einstiger) kultureller Schöpfungen – und nicht mehr als gelebte Zivilisation.

Der Kulturbegriff der UNESCO, wie er auf der Weltkulturkonferenz in Mexiko 1992 zwischen den 187 Mitgliedsstaaten der UNESCO vereinbart wurde, kommt dem angelsächsischen civilization sehr nahe. Dieser erweiterte Kulturbegriff der UNESCO zielt auf die Gesamtheit menschlicher Lebensformen, auf kulturelle Vielfalt und kulturellen Pluralismus – auch in einer Gesellschaft (oder Nation), auch in einem einzigen Individuum. Wir verstehen Kultur als Horizonterweiterung, als Grenzüberschreitung, auch als Entgrenzung und als plurikulturelle Vermischung. Kultur ohne „ethische“, soziale, nationale oder territoriale Ausgrenzung. Die ausschließliche Rückbesinnung auf eine „nationale“ Kultur verschließt uns die Welt mehr als dass sie sie uns öffnet.

Das nächste Jahr 2001 ist das UNO-Jahr des Dialogs zwischen den Kulturen – eines Dialogs, der „auf gleicher Augenhöhe“ stattfinden soll. (Bei Wandmalerei dürfte die gleiche Augenhöhe allerdings von vornherein unmöglich sein.) Dafür aber zeigt Mural-global auch, dass Dialoge sich nicht nur auf Worte beschränken müssen.

Die Deutsche UNESCO-Kommission sieht in diesem „Weltweiten Wandmalprojekt zur Agenda 21“ ein bemerkenswertes Beispiel für eine erfolgreiche Umsetzung von UNESCO-Ideen: Mit großem Engagement setzt MURAL-GLOBAL öffentliche Zeichen gegen die Zerstörung der Einen Welt. Und es bringt die kunstvolle Begegnung mit anderen Kulturen dorthin, wo wir sie dringend brauchen: in unserem täglichen Lebensraum.

Die lateinischen Sprachen kennen einen sehr schönen Begriff für das gesellige, anregende und unterhaltsame Beisammensein: Convivencia. (Zusammen-Erleben) Genau dies wünsch ich Ihnen für heute Abend: Convivencia e boa companhia.



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